Die Vorentrückungslehre ist heute die beherrschende Deutungsweise, welche über das zweite Kommen des Herrn Jesus Christus und über die Vereinigung der Gemeinde mit ihm spricht. Wir wollen die bekanntesten Schriftstellen kurz besprechen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1) Der erste Hauptvers: Offenbarung 3,10
2) Der zweite Hauptvers: 2. Thessalonicher 2,7
3) Der dritte Hauptvers: 1. Thessalonicher 4,16-17
4) Der vierte Hauptvers: 1. Mose 5,24
5) Textstellen, welche die Drangsal erwähnen
5.1) Die Ölbergrede des Herrn Jesus in Matthäus 24
5.2) Die Offenbarung
5.3) Jeremia 30,5-7
5.4) Daniel 12,1
6) Zusammenfassung
Einleitung
Die Gläubigen fast aller christlichen Strömungen der Gegenwart sind bei der Betrachtung der Weltgeschichte der Ansicht, dass wir in den letzten Tagen leben, welche der Wiederkunft des Herrn Jesus Christus unmittelbar vorangehen. Die Zeichen unserer Zeit scheinen nach Ansicht vieler Christen immer mehr mit den Dingen überein zu stimmen, welche der Herr in seiner Ölbergrede und auch bei anderen Gelegenheiten (z.B. Luk 17) über die letzten Tage vor seinem Kommen angedeutet hat. Auch der Apostel Paulus hat über einige Dinge gesprochen (zum Beispiel in 2Tim 3, in 1Thess, 2Thess und an anderen Stellen).
Die Neugründung Israels im Jahr 1948 und das Aufkommen seiner feindlichen arabischen Nachbarstaaten werden in diesem Zusammenhang ebenso von vielen Gläubigen als bedeutsame Ereignisse angesehen, wie weltweite Kriege und Kriegsgerüchte mit globalen Folgen auf politischem, militärischem und wirtschaftlichem Gebiet, Hungersnöte, Erdbeben, Krankheiten und andere Naturkatastrophen.
Ob alle diese Vermutungen eine zuverlässige Grundlage haben, wäre ein Thema für sich. Es ist jedoch klar, dass die antichristlichen Kräfte in der Welt unserer Zeit extrem zugenommen haben, und dass wir möglicherweise bereits in der Zeit leben, in welcher nach Ansicht vieler Christen der Satan noch einmal losgelassen wurde, um die letzte globale Verführung zu inszenieren. Bei der Wiederkunft des Herrn Jesus Christus wird das gesamte antichristliche System durch die Herrschaft des Herrn ersetzt werden. Ob wir heute wirklich in den letzten Tagen leben, weiß nur Gott allein.
Angesichts der soeben genannten Dinge ist es nicht verwunderlich, dass in den vergangenen Jahrzehnten in der Christenheit die biblische Lehre von den letzten Dingen, also die Eschatologie, immer mehr in den Fokus gerückt ist. Die biblische Endzeitlehre redet ja nicht nur über das Kommen des Herrn Jesus Christus, sondern insbesondere auch über die praktische Stellung, welche die Gemeinde der Gläubigen während der letzten Tage auf dieser Erde einnehmen wird. Sie spricht somit direkt in unser Christenleben hinein und hat praktische Auswirkungen auf unsere Nachfolge. Gerade deshalb ist sie für jeden einzelnen Christen von Bedeutung, und gerade deshalb ist sie auch innerhalb der Christenheit zu einem so großen Diskussionspunkt geworden.
Verschiedenste Ansichten hinsichtlich der Endzeit wurden in der Vergangenheit und Gegenwart der christlichen Gemeinde vertreten. Leider kam es dabei zeitweise zu ernsthaften Auseinandersetzungen, welche auch zu Trennungen unter echten Kindern Gottes geführt haben. Ein wichtiges Element war immer wieder die Verbindung zwischen den Aussagen der alttestamentlichen Propheten (besonders Daniel, aber auch andere Propheten) mit dem Buch der Offenbarung. Gerade die Offenbarung hatte unter den Händen der verschiedensten Ausleger mehr zu leiden als jedes andere Buch der Bibel.
Im Verlauf der letzten etwa 180 Jahre setzte sich in der westlichen Christenheit neben dem Dispensationalismus, also der Lehre von den sieben Haushaltungen Gottes (einem Teilaspekt des Prämillennialismus) in der Eschatologie eine weitere zentrale Lehre hinsichtlich der Zukunft der Gemeinde Christi durch, nämlich die so genannte Vorentrückungslehre. Diese Lehre von der Entrückung der Gemeinde Christi in den Himmel vor Beginn einer siebenjährigen großen Drangsal auf der Erde ist heute die beherrschende Deutungsweise, welche über das zweite Kommen des Herrn Jesus Christus und über die Vereinigung der Gemeinde mit ihm spricht. Sie wird von nahezu allen christlichen Strömungen der westlichen Welt in der Gegenwart favorisiert, seien es die evangelikalen oder neoevangelikalen Gruppierungen, die Brüderbewegung, die Pfingstler, und auch die Charismatiker.
Wir kommen nun zur kurzen Besprechung der bekanntesten Schriftstellen über die Entrückung. Bemerkenswert ist hierbei unter anderem die Tatsache, dass der Begriff „Entrückung“ an keiner dieser Textstellen vorkommt.
1) Der erste Hauptvers: Offenbarung 3,10
Der erste Hauptvers in der Bibel, welcher immer wieder dazu herangezogen wird, die Entrückung vor der großen Drangsal zu begründen, ist Off 3,10. Die gängige Übersetzung lautet:
„Weil du das Wort vom standhaften Ausharren auf mich bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird ….“
Im Griechischen heißt es hier „tereo ek“, was genauso wie in Off 3,5+12+16 eine Trennung bedeuten soll. Tereo ek steht aber in Off 3,10 nicht in einem räumlichen Kontext wie in den drei anderen Versen, sondern in einem zeitlichen Kontext, nämlich im Kontext der „Stunde der Versuchung“. Konsultiert man dazu verschiedene anerkannte Lexika der griechischen Sprache (Wallace: Greek Grammar beyond the Basics, S. 371. Stanley E. Porter: Idioms of the Greek New Testament, S. 155. Arndt, Gingrich: A Greek English Lexicon Of The New Testament, S. 236. Thayer´s Greek-English Lexicon Of The New Testament, S. 191. Richard A. Young: Intermediate New Testament Greek, S. 95), so lernt man übereinstimmend folgendes: Wenn die Präposition “ek” in einem zeitlichen Kontext steht, dann bedeutet sie nicht eine Trennung, sondern sie zeigt einen Zeitpunkt an, von welchem an beginnend eine bestimmte Sache ausgeht.
Beispiele:
- Mt 19,20: „…von (ek) meiner Jugend an“
- Mk 10,20: „von (ek) meiner Jugend an“
- Lk 8,27: „seit (ek) langer Zeit“
- Joh 6,64: „von (ek) Beginn an“
- Joh 9,1: „seit (ek) seiner Geburt“
- Joh 9,32: „von (ek) Beginn des Zeitalters an“
- Apg 9,33: „seit (ek) acht Jahren“
Genauso ist es natürlich auch in Off 3,10. Die korrekte Übersetzung sollte demnach in etwa folgendermaßen lauten
„… werde ich dich bewahren von Beginn der Stunde der Versuchung an, welche über den ganzen Erdkreis kommen wird ….“
Der Vers sagt nicht aus, dass Gott die Gläubigen aus Philadelphia aus der Stunde der Versuchung heraushalten würde, sondern dass er sie von Beginn der Versuchung an durch die gesamte Stunde der Versuchung hindurch bewahren würde. Das ist etwas völlig anderes. Das Gleiche geschah zum Beispiel mit dem Volk Israel in Ägypten durch alle Plagen hindurch. In Ägypten tobten die Gerichte Gottes, welche sich immer weiter steigerten. Ganz Ägypten war in heller Aufregung, während das Volk Israel im Land Gosen von den Plagen vollständig verschont blieb. Bewahrung des Volkes Israel inmitten der Drangsale in Ägypten.
Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Off 3,10 dem Wortlaut nach weder über eine Entrückung, noch über eine Drangsal redet, geschweige denn über eine große Drangsal. Die beiden Begriffe kommen im Text überhaupt nicht vor! Es ist die Rede von Bewahrung und von der Stunde der Versuchung. Alle Versuche von Auslegern, den Vers mit der Entrückung der Gläubigen und mit einer großen Drangsal in Verbindung zu bringen, scheitern bereits am reinen Wortlaut des Textes und stellen somit in letzter Konsequenz einen groben Verstoß gegen die Regeln der Schriftauslegung dar.
Im vorliegenden Fall haben wir somit ein klassisches Beispiel für Eisegese. Eisegese bezeichnet eine Art der Schriftauslegung, bei welcher der Ausleger seine eigenen Vorannahmen und lehrmäßigen Überzeugungen gedanklich auf einen vorliegenden Bibeltext überträgt. Dabei verändert er bei seiner Auslegung die objektive Bedeutung des vorliegenden Textes so, dass er sie subjektiv an sein eigenes Gedankengebäude anpasst. Die Aussagen anderer Schriftstellen zum selben Thema werden dabei in aller Regel nicht berücksichtigt, ebenso auch nicht der unmittelbare Kontext der vorliegenden Schriftstelle. Diese Art der Schriftauslegung führt jedoch immer zu falschen Lehraussagen. Die Schrift muss vielmehr in sauberer Exegese ausgelegt werden, indem man alle zu einem Thema vorhandenen Schriftstellen sammelt und sie in Unterordnung unter die Irrtumslosigkeit der Schrift in einen nachvollziehbaren Zusammenhang bringt. Die obersten Grundsätze der Auslegung sind dabei die Treue zum vorliegenden Wortlaut des Textes und des Kontextes, die Analogie der Schriften (kein einziger Widerspruch in der Schrift) sowie das Prinzip „Sola Scriptura“ (die Schrift erklärt die Schrift). Gegen alle diese Grundsätze wird in der üblichen Auslegung von Off 3,10 fundamental verstoßen.
2) Der zweite Hauptvers: 2. Thessalonicher 2,7
Eine weitere Textstelle, die oft mit einer Entrückung vor der Drangsal in Zusammenhang gebracht wird ist, ist 2Thess 2,7. Die gängige Übersetzung lautet:
„Denn das Geheimnis der Gesetzlosigkeit ist schon am Wirken, nur muss der, welcher jetzt zurückhält, erst aus dem Weg sein ….“
Derjenige der noch zurückhält und aus dem Weg genommen werden muss, soll nach gängiger Eisegese der Heilige Geist sein, obwohl der Wortlaut des Textes dies nicht im Geringsten andeutet. Der Heilige Geist wird als in der Gemeinde Christi wohnend angesehen, was soweit noch biblisch korrekt ist. Dann folgt der logische Schluss, dass die Gemeinde bei der Entrückung von der Erde weggenommen werden muss, wenn der Heilige Geist weggenommen wird. Das Problem besteht aber wie gesagt darin, dass der Text gar nicht über den Heiligen Geist spricht. Somit sind auch alle an diese Eisegese (Hineinlesen des Heiligen Geistes in den Text) geknüpften Schlussfolgerungen hinfällig. Der Wortlaut des Verses erlaubt schlicht und einfach keine sinngemäße Verknüpfung mit einer Entrückung. Auch der folgende Vers, welcher über die Offenbarung des Gesetzlosen oder des Menschen der Sünde redet, wird großzügig umgedeutet. Plötzlich ist hier der Antichrist zu erkennen, obwohl dieses Wort im Text ebenso wie die Drangsal nicht vorkommt. Auch diese gedankliche Verbindung wird nicht durch den Wortlaut des Textes gestützt und muss daher bei korrekter Auslegung abgewiesen werden.
Hinzu kommt noch die Tatsache, dass die Bedeutung der Worte in Vers 7 aus dem griechischen Text falsch übersetzt ist. Die Stelle, welche mit „aus dem Weg sein“ übersetzt wird, lautet im Griechischen: „ek mesou genotai“. Genotai ist der zweite Aorist von ginomai. Die Grundbedeutung dieses Verbums ist: „entstehen, geschaffen werden, geboren werden, aufkommen, erscheinen, hervorkommen“. In seiner Bedeutung „entstehen, aufkommen“ wird es an verschiedenen Stellen des Neuen Testamentes verwendet: Mt 8,24; 13,21; Mk 4,17; 4,37; Lk 6,48; 15,14; Joh 3,25; Apg 6,1; 11,19; 19,23; 23,7; 23,9; 23,10. In seinen weiteren Bedeutungen wird es an vielen Stellen des Neuen Testamentes unterschiedlich verwendet: Mt 5,18; 10,25; 18,12; 18,13; 21,19; 23,15; 23,26; 24,20; 24,21; 24,32; 24,34; 26,5; Mk 9,50; 13, 18; 13,19; 13,28; 13,30 etc. Kein einziges Mal wird es übersetzt mit „weggenommen“.
Ich wohne in Trier. Ich habe dort einen Griechen, den ich kenne, im Eiscafé nach der Bedeutung des Wortes ginomai gefragt. Er bestätigte mir genau die Bedeutungen, welche soeben erwähnt wurden. Dann fragte ich ihn noch einmal ganz gezielt: „Kann das Wort auch wegnehmen bedeuten?“ Seine Antwort war: „Das denke ich nicht. Das habe ich noch nie gehört.“ Wir möchten also nun versuchen, den Vers entsprechend zu übersetzen. Zuerst die etwas eckige direkte Ableitung. Sie lautet etwa: „ek mesou genotai“ = „aus der Mitte heraus gekommen ins Dasein“. Nun die verständlichere Übersetzung unseres Verses. Sie lautet in etwa so:
2Thess 2,7: „Denn das Geheimnis der Gesetzlosigkeit ist schon am Wirken, nur muss der, welcher (sich) jetzt noch zurückhält (oder zurückgehalten wird), erst aus der Mitte heraus hervorgekommen (erschienen, geoffenbart worden) sein ….“
Der Vers sagt also nicht aus, dass etwas weggenommen wird, sondern dass jemand (oder etwas) aus der Mitte hervorkommt, der oder das bisher noch nicht sichtbar war. Ich glaube, dass dieser der Geist des Antichristen oder die Person des „Menschen der Sünde“ sein könnte.
3) Der dritte Hauptvers: 1. Thessalonicher 4,16-17
Dies ist eine weitere Textstelle, welche die Entrückung vor der Drangsal begründen soll. Der Vers lautet:
1Thes 4,16-17: „… denn der Herr selbst wird, wenn der Befehl ergeht und die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallt, vom Himmel herabkommen, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen. Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zusammen mit ihnen entrückt werden in Wolken, zur Begegnung mit dem Herrn, in die Luft, und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.“
Die Elemente: Der Herr kommt beim Erschallen der Posaune Gottes und bei der Stimme des Erzengels. Es kommt zur Auferstehung der Toten in Christus. Die Auferstehung der Ungläubigen wird hier nicht ausdrücklich erwähnt. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht ebenfalls zum gleichen Zeitpunkt stattfinden könnte. Paulus redet im Kontext über die entschlafenen Gläubigen, denn die Ungläubigen sind gar nicht sein Thema. Aus anderen Schriftstellen geht jedoch hervor, dass die Gläubigen und die Ungläubigen sehr wohl am selben Tag auferstehen werden, die einen zum ewigen Leben, die anderen zum Gericht.
Im Zusammenhang mit z.B. Joh 5,28-29 und 1Kor 15,52 betrachtet handelt es sich bei der Posaune in 1Thess 4,16-17 um die gleiche Posaune wie in 1Kor 15,52 und Off 11,15-18. Es kommt zur Verwandlung der lebenden Gläubigen, welche in die Luft hochgerissen („harpazo“: Verb und nicht Hauptwort) werden. Es kommt zur Begegnung („apanthesis“) mit dem Herrn in der Luft. Die Verwandlung der Gläubigen und die Begegnung mit dem Herrn in der Luft findet also genau bei dieser Posaune statt, nämlich dann, wenn nach Joh 5,28-29 alle Toten auferweckt werden, und zwar die Gläubigen und etwas später auch die Ungläubigen. Es geschieht alles am selben Tag. Auch hier muss wiederum gesagt werden, dass die Textstelle in keiner Weise über eine Drangsal oder gar große Drangsal redet. Die gedankliche Verbindung zwischen Entrückung und Drangsal wird auch hier eindeutig nicht durch den Wortlaut des Textes gestützt.
4) Der vierte Hauptvers: 1. Mose 5,24
Die Aufnahme Henochs in den Himmel wird ebenfalls von den Vertretern der Vorentrückungslehre als ein Bild für die Entrückung vor der großen Drangsal angesehen. Er lautet:
1Mo 5,24: „Und Henoch wandelte mit Gott, und er war nicht mehr, denn Gott hatte ihn hinweggenommen (entrückt).“
Hier kommt das Wort „entrücken“ als Verb vor. Wenn wir allerdings den Kontext dieses Verses näher betrachten, dann entstehen ernste Zweifel an dieser Lehre. Berechnen wir einmal die Zahlen. Es zeigt sich, dass das Gericht der Flut über die Erde kam, als Henoch bereits seit 669 Jahren im Himmel war. Der Bibeltext redet hier nicht von Symbolzahlen, sondern von wirklichen Jahren. Wenn wir das mit heute vergleichen, dann wäre es ungefähr so: Wenn das Gericht im Jahr 2016 käme, dann hätte die geheime Entrückung bereits um das Jahr 1347 stattgefunden. Oder anders gesagt: Wenn die Entrückung im Jahr 2016 käme, dann würde das Endgericht im Jahr 2685 stattfinden. Der Gedankengang erscheint schwer nachvollziehbar. Es liegen Jahrhunderte dazwischen, obwohl es nach üblicher Auslegung ja sieben Jahre sein müssten. Hinzu kommt auch hier wieder die ernste Tatsache, dass der Text den Begriff „Drangsal“ nicht bietet. Somit ist auch hier die „Entrückung vor der Drangsal“ ein reines Gedankenkonstrukt, welches bei korrekter Auslegung abgewiesen werden muss.
5) Textstellen, welche die Drangsal erwähnen
Nachdem wir uns nun mit einigen Textstellen beschäftigt haben, in welchen die Begriffe Entrückung und Drangsal nicht vorkommen, (sondern lediglich von Auslegern hineingelesen werden), befassen wir uns nun mit Schriftstellen, an denen diese Begriffe tatsächlich zu finden sind. Aussagen über die Drangsal können bei gesunder Textauslegung natürlich nur anhand solcher Schriftstellen geschehen, welche dieses Wort auch tatsächlich enthalten.
Das Wort „Entrückung“ werden wir nur in Hebr 11,5 in Bezug auf Henoch finden. In 1Thess 4,17 findet sich zudem die Aussage, dass die Gläubigen zum Herrn in die Luft hochgerissen werden („harpazo“, ein Verb und nicht ein Hauptwort). Dies wird geschehen am letzten Tag des jetzigen Zeitalters bei der letzten Posaune, wenn der Herr wiederkommt.[1] Und nun also zu dem Begriff der Drangsal.
5.1) Die Ölbergrede des Herrn Jesus in Matthäus 24
Wir finden diesen Begriff im Neuen Testament an verschiedenen Stellen. Zunächst kommt er in der berühmten Ölbergrede des Herrn Jesus Christus vor, und zwar hauptsächlich bei Matthäus.[2] Wir wollen nun die wichtigsten Aspekte in Bezug auf unser Thema betrachten.
Der Herr hatte seit seinem öffentlichen Auftreten als Messias Israels etwa dreieinhalb Jahre gedient. Nun saß er exakt in der Mitte der letzten Jahrwoche Daniels auf dem Ölberg und musste seinen Jüngern das Schicksal der Stadt und des Tempels nach seinem Weggang erklären, also die Ereignisse, welche in Dan 12 angesprochen werden. Bereits in Mt 23,31-36 hatte er den Pharisäern die Verwüstung des Tempels ankündigen müssen, nun musste er direkt zu seinen Jüngern reden und ihnen die Dinge klar auf den Tisch legen. Wenige Tage später würde die Kreuzigung stattfinden, und Israel würde als Nation „die Übertretung zum Abschluss bringen“ (Dan 9,24) durch die Ermordung des Messias. Der Herr musste hier in seiner Rede zu den Jüngern sagen, dass als Folge davon der Tempel bis auf den letzten Stein zerstört werden würde, und dass die damals lebende Generation in Israel alle diese Dinge miterleben müsse.
Die Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahr 70 n.Chr. markierte einen absoluten Meilenstein in der Weltgeschichte, denn sie bedeutete das Ende der nationalen Existenz des alten Israels und die nachfolgende Zerstreuung der Juden über die gesamte Erde. Die Ablehnung des Messias Jesus Christus durch sein eigenes Volk hatte für die Nation des damaligen Israel schreckliche und bleibende Konsequenzen, welche bis heute anhalten. Die Ermordung des Sohnes Gottes durch die römischen Besatzer ist das schlimmste Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. Gleichzeitig ist es jedoch der Wille des Vaters gewesen, den Sohn in den Tod zu geben, um sowohl die Juden als auch die Nationen zu erretten, wenn sie an das Evangelium vom gestorbenen und auferstandenen Herrn Jesus Christus glauben. Der alte Bund wurde durch den neuen und ewigen Bund ersetzt, das irdische Israel nach dem Fleisch wurde durch das geistliche Israel des neuen Bundes ersetzt, nämlich durch die Gemeinde der Gläubigen, bestehend aus Juden und Nichtjuden. Der irdische Tempel wurde ersetzt durch den Tempel des neuen Bundes, das ist der Leib Christi, die Gemeinde. Das irdische Jerusalem und der irdische Berg Zion wurden ersetzt durch den himmlischen Berg Zion (Hebr 12,22) und durch das himmlische Jerusalem, welches die Gemeinde ist. Im alten Bund war alles irdisch: Die Stadt, das Land, das Volk, das Heiligtum, der Opferdienst. Im neuen und ewigen Bund ist alles geistlich: Die Stadt, das Land, das Volk, das Heiligtum, der Opferdienst.
Der Prophet Daniel, den der Herr selbst im Verlauf seiner Rede erwähnte, hatte in seinem Buch in Kapitel 9,24-27 auf diese Dinge hingewiesen. Es ist eine der größten Prophetien im AT, nämlich die Vorhersage des Kommens des Messias, seines Werkes, seines Todes und der Konsequenzen seines Todes. Der Herr kam nun auf die Dinge zu sprechen, welche sich in den letzten Tagen des alten Israel ereignen würden, von denen auch Daniel 12 geredet hatte. Die Zeit der Drangsal, über welche der Herr in Mt 24,21 redet, ist nämlich dieselbe Zeit, über welche auch Jer 30,7 und Dan 12,1 sprechen. Der Herr hatte wiederholt, auch sogar während seines Leidens, das Volk und die Führer des Volkes auf die kommende Zerstörung hinweisen müssen. Ihm selbst war die kommende Verwüstung ein tiefer Schmerz, der ihn sogar zum Weinen brachte. Der Herr weinte über sein halsstarriges und ungläubiges Volk, aber es gab keinen anderen Weg (Mt 23,32-39; Lk 13,34; Lk 19,41-44; Lk 23,28-31).
In Jes 51,17-23 redet der Geist Gottes ebenfalls über Jerusalem. Er sagt zwei Dinge.
- Es wird eine erbarmungslose Verwüstung über die Stadt und das Volk kommen.
- Die Stadt und das Volk werden danach nie wieder einen derartig bitteren Kelch zu trinken haben.
Auch hier wird klar gesagt, dass die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n.Chr. von welcher hier geredet ist, niemals wieder kommen wird. Es wird sehr wohl so sein, dass der Erde in Zukunft noch Drangsale in verschiedenster Form bevorstehen. Der Herr hat sie alle angekündigt. Es ist jedoch so, dass der Herr in seiner Ölbergrede diese Drangsale von der großen Drangsal über Jerusalem getrennt hat. Wir möchten das nun etwas näher betrachten.
In Mt 24,15-28 kommt das konkrete Zeichen für die unmittelbar bevorstehende Zerstörung der Stadt Jerusalem. Was würde das Zeichen zur Flucht sein? Der Herr bezeichnet es gegenüber den Jüngern als den Gräuel der Verwüstung, von dem der Prophet Daniel geredet hatte. Die Jünger würden diesen Gräuel der Verwüstung mit eigenen Augen sehen, und zwar nicht nur in Jerusalem, sondern auch in Judäa. Dies bedeutet, dass der Gräuel noch zu Lebzeiten der Jünger kommen würde. Was genau würde dieser Gräuel sein? Matthäus und Markus reden über den Gräuel und raten bei seinem Anblick zur unmittelbaren Flucht. Lukas gibt genau den gleichen Rat, aber er gibt als Anlass für die sofortige Flucht in klaren Worten an, was die beiden anderen Evangelisten mit dem Gräuel gemeint haben (Luk 21,20). Der Gräuel der Verwüstung aus Matthäus und Markus war nichts anderes als das Heer des Römers Titus, welches durch Judäa hindurch auf die Stadt Jerusalem zur Belagerung marschierte. Wer dieses Heer in Judäa (also an heiliger Stätte, nämlich im Heiligen Land) sah, der musste wissen, dass es soweit war, und musste unmittelbar die Flucht ergreifen. Der weitere Hinweis, dass dies der Gräuel sei, von dem Daniel der Prophet geredet hatte, macht unmittelbar klar, dass auch Daniel über die Zerstörung der Stadt im Jahr 70 n.Chr. geredet hatte.
Außerdem sollten die Jünger darum beten, dass ihre Flucht nicht auf einen Sabbat fallen würde. Auch dies ist ein klarer Hinweis dafür, dass zu der Zeit der Flucht noch das jüdische Zeremonialgesetz im Land gelten würde. Dies konnte nur vor der Zerstörung sein, denn danach war es vorbei mit dem Tempel und den Sabbatopfern. Die einfache Logik der Schriften beantwortet somit die Frage der Jünger.
Der Herr sagte in unmittelbarer Verbindung mit der Fluchtaufforderung erneut, dass dies die Tage der Rache sein würden, und dass eine Drangsal kommen würde, wie sie seit Beginn der Welt und danach nie wieder sein würde. Dieses Wort verbindet die Ereignisse des Jahres 70 n.Chr. untrennbar mit dem Begriff der Drangsal. Auch hier ist die logische Verknüpfung zwingend. Die Zerstörung im Jahr 70 n.Chr. war die Drangsal für Jerusalem. Es ist erfüllt. Äußerst bemerkenswert ist zudem die Tatsache, dass Lukas im Gegensatz zu Matthäus und Markus nicht das Geringste über eine damals noch kommende große Drangsal für die Juden in der fernen Zukunft redet, obwohl er von genau denselben Dingen spricht wie die beiden anderen Evangelisten. Die große Drangsal betraf somit eindeutig die Stadt Jerusalem, und sie hat sich bereits in der Vergangenheit bis in die Einzelheiten erfüllt.
Bereits im Jahr 67/68 hatte die Belagerung begonnen. Die Christen in Israel sahen zu diesem Zeitpunkt den Gräuel der Verwüstung, nämlich das Heer des Titus und die römischen Feldzeichen, vor welchen sich die Römer in Anbetung ihres Kaisers und ihrer Götzen niederbeugten, in Judäa und in der Umgebung von Jerusalem stehen. Sie erinnerten sich an die Weissagung des Herrn, welche ihnen von den Aposteln mitgeteilt worden war und flohen aus der Stadt, als Vespasian nach Rom reisen musste, um sich dort nach dem Tod Neros im Jahr 68 gegen dessen mögliche Nachfolger durchzusetzen und zum Kaiser krönen zu lassen. Kurz darauf kehrte sein Sohn und späterer Nachfolger Titus zurück und vollendete sein Werk. Mehr als eine Million Juden fanden in Jerusalem den Tod. Soweit wir es aber wissen, kam kein messianischer Jude ums Leben. Die fürchterliche Zeit der Zerstörung endete im Jahr 72/73 n.Chr. Sie stellt somit klar die Zeit der vom Herrn prophezeiten großen Drangsal Jakobs dar.
Aus der Geschichte ist eindeutig zu erkennen, dass vor dieser großen Drangsal Jakobs keine Entrückung der Christen in den Himmel stattgefunden hat. Die Christen flohen zwar auf dem Landweg nach Pella, aber sie wurden nicht in den Himmel entrückt. Da die große Drangsal für Jakob nun bereits in der weiten Vergangenheit liegt, haben wir sie nicht mehr in der Zukunft zu erwarten. Das Gleiche gilt dann natürlich auch für eine Entrückung, welche ja nach geltender Auslegung schon vor der großen damaligen Drangsal hätte stattfinden müssen.
In Mt 24,29-31 redet der Herr Jesus Christus dann aber noch über eine andere Drangsal, nämlich über eine „Drangsal jener Tage“. Damit gibt er den Jüngern unmissverständlich zu verstehen, dass er nicht über ihre Frage nach der Zerstörung des Tempels redet. Das hat er ja gerade getan, und er hat ihnen klar gesagt, dass er die Zerstörung des Tempels nicht durch seine Wiederkunft verhindern wird. Er redet vielmehr über eine Drangsal in der Zukunft, an deren Ende er dann nämlich sehr wohl wiederkommen wird. Das muss somit eine andere Drangsal sein als diejenige im Jahr 70 n.Chr. Der Herr beantwortet jetzt nicht die Frage nach der Zerstörung der Stadt Jerusalem und des Tempels, sondern die Frage der Jünger nach seiner Wiederkunft und nach dem Ende der Weltzeit. Das Zeichen das nun genannt wird, wird jedoch nicht nur auf das Ende hindeuten, sondern es wird das Ende sein! Unmittelbar nach der „Drangsal jener Tage“ wird es auftreten. Es wird eine Verfinsterung der Himmelskörper sein, verbunden mit dem Blitz vom Osten bis zum Westen und dem Zeichen des Herrn am Himmel.
Deswegen bezeichnet der Ausdruck „die Drangsal jener Tage“ in Vers 29 nicht die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n.Chr., sondern die Drangsale der Christen während des Gemeindezeitalters und die Drangsale der letzten großen Christenverfolgung kurz vor der sichtbaren Wiederkunft des Herrn zum Weltgericht. Die Offenbarung macht uns diesen Zusammenhang an verschiedenen Stellen sehr deutlich.
5.2) Die Offenbarung
Das siebte Kapitel der Offenbarung schließt mit einem Blick auf das Bild der bei Gottes Thron versammelten Heiligen des Gemeindezeitalters, welche den irdischen Lauf schon vollendet haben. Hier sehen wir die Erlösten der Gemeinde nicht mehr auf der Erde, sondern im Himmel. Es ist die unzählbare Menge, welche die Ewigkeit mit dem Vater und dem Lamm verbringen wird. Die Zahl der Erlösten im Himmel ist erheblich größer als die Zahl derer, die sich noch auf der Erde befinden. Von den Himmlischen wird gesagt, dass sie aus großer Drangsal kommen. Das ist im Buch der Offenbarung die große und gewaltige Summe aller Bedrängnisse während des gesamten Gemeindezeitalters, welche unter den Siegeln der Offenbarung bis einschließlich Kapitel 6 die Gläubigen und die Welt betroffen haben.
Die „große Drangsal“ in Off 7,14 redet somit über die Bedrängnisse der Gläubigen in der Zeit der Gemeinde zwischen Pfingsten und der sichtbaren Wiederkunft des Herrn. Die Gläubigen im Himmel werden als solche gesehen, welche „aus großer Drangsal“ (kein Artikel in verschiedenen Übersetzungen, wie etwa der englischen KJV) auf der Erde in den Himmel gekommen sind. Man kann also die Drangsal in Mt 24,21, bei Jeremia und Daniel (siehe später) nicht mit der Drangsal in der Offenbarung identifizieren. Es handelt sich um verschiedene Dinge. Es handelt sich bei den Heiligen in Off 7,14 auch nicht um eine besondere Klasse von „Heiligen der großen Drangsal“, denn das Wort steht im Text ohne bestimmten Artikel. Die Gemeinde aller Erlösten Gottes ist keine Mehrklassengesellschaft. Alle Gläubigen des gesamten Gemeindezeitalters mussten Drangsal erleiden, und zwar immer wieder. Ebenso wird eine Zeitdauer von sieben Jahren im Text nicht erwähnt.
Johannes erhält in Off 10 von dem Engel eine kleine Buchrolle, die er essen muss. In seinem Mund ist sie süß wie Honig, in seinem Bauch aber bitter. Dieses Bild ist verwurzelt in drei alttestamentlichen Stellen: Ps 119,103; Jer 15,16; Hes 2,9 und 3,1ff. In der Zusammenschau können wir sagen: Die Rolle ist das Wort Gottes. Der Zeuge Gottes muss es essen. Es bringt ihm eine süße Botschaft, aber auch bitteres Gericht für die Welt. Wenn er es verdaut hat, muss er es auch an andere weitersagen. Jeremia und Hesekiel mussten das tun unter sehr schwierigen Umständen, aber sie konnten nicht schweigen. Das Zeugnis kann sehr bittere Erfahrungen nach sich ziehen. Die Süße des Wortes Gottes hat in Form der Verfolgungen oft bitteren Nachgeschmack. So auch hier: Die Verkündigung des Wortes Gottes in unserer Zeit des Evangeliums darf das Gericht nicht verschweigen, und es bringt auch für die Gemeinde bittere Verfolgungen, aus denen die Gläubigen letztendlich aber als Überwinder hervorgehen werden, und sei es durch den Tod hindurch. Diese Tatsachen werden uns im 11. Kapitel klar vor Augen gestellt, denn das elfte Kapitel steht in untrennbarem Zusammenhang mit Kapitel 10, wie Dan 10,11 zeigt.
Johannes muss im elften Kapitel mit einer Rute den Tempel messen. Den Vorhof soll er nicht messen. Die Stadt wird von den Heiden zertreten werden für 42 Monate. Das ist das Bild. Was bedeutet es? Der Tempel Gottes in der Gemeindezeit ist die Gemeinde selbst (1Kor 3,16; 2Kor 6,16). Sie wird hier gemessen, so wie sie in Off 7 gezählt wurde. Die echten Gläubigen sind gemessen und gezählt, sie stehen unter Gottes ewigem geistlichem Schutz. Nach ihrem äußerlichen Leben in der Welt, repräsentiert durch den Vorhof, stehen sie jedoch nicht in jeder Hinsicht unter diesem absoluten Schutz. Die Gemeinde, das geistlich gemessene und sichere Heiligtum Gottes, wird von der Welt zertreten, sie ist äußerlich verwundbar, ohne jedoch jemals ganz unterzugehen. Dies dauert an für symbolische 42 Monate, also während des gesamten Evangeliumszeitalters. So ist auch die große Stadt in diesem Bild in der Offenbarung eine Darstellung der ganzen ungläubigen Welt, die die Gemeinde verfolgt. In Off 11,8 kommt es deutlich zum Ausdruck: Es ist die große Stadt (das ist: die ganze Welt), die im geistlichen Sinn Sodom und Ägypten heißt (wieder die Bosheit der Welt), wo auch unser Herr gekreuzigt worden ist (der Herr ist von der Welt ans Kreuz gebracht worden; er selbst gehörte nicht zu dieser Welt, welche durch Jerusalem repräsentiert wurde; deshalb starb er außerhalb der Stadt; siehe hierzu auch Hebr 13,11-14).
Dann kommen die zwei Zeugen, und auch sie dienen für 1260 Tage, das sind die 42 Monate, und somit wieder ein Bild für das gesamte Evangeliumszeitalter. Die zwei Zeugen in Off 11 sind in der apokalyptischen Symbolsprache ein Bild für das Zeugnis des Evangeliums in der Welt, gegeben durch die Gemeinde, und zwar während des gesamten Evangeliumszeitalters, symbolisch dargestellt durch die 1260 Tage oder 42 Monate, was dreieinhalb Jahren entspricht und somit symbolisch die Zeit des öffentlichen Dienstes unseres Herrn Jesus Christus auf der Erde darstellt. So wie der Herr während seines gesamten Dienstes verfolgt wurde, so wird es auch der Gemeinde allezeit bis zur Wiederkunft des Herrn ergehen: Verfolgung und Drangsale während des gesamten Zeitalters. Die alttestamentliche Wurzel der Zeit von dreieinhalb Jahren findet sich im Dienst des Elia, welcher ebenfalls für dreieinhalb Jahre von Ahab verfolgt wurde. Jak 5,17 weist darauf hin.
Die Zeit des Evangeliums wird jedoch einmal enden. Wenn der Herr kommen wird, dann wird es womöglich nur noch wenige Gläubige auf der Erde geben (Lk 18,8). Diesem Tag wird eine kurze Zeitspanne vorangehen (in Off 11,9 symbolisiert als dreieinhalb Tage, also sehr kurz im Vergleich zu den ebenfalls symbolischen dreieinhalb Jahren des gesamten Evangeliumszeitalters), in welcher das Zeugnis zum Schweigen gebracht wird. Es wird tot sein für kurze Zeit. Die Zeugen im Symbolbild von Offenbarung 11 liegen tot auf der Straße der großen Stadt, des geistlichen Sodom und Ägypten, in welcher der Herr so wie sie auch getötet wurde. Der antichristliche Geist und seine Mächte werden weltweit die Oberhand haben. Die gottlosen Menschen der Welt werden jubeln und sich beschenken, weil sie nicht mehr durch das Wort der lästigen Zeugen des Evangeliums und durch die Androhung des Gerichtes Gottes durch Feuer gequält werden. Aber ihre Freude kommt zu früh: nach einer sehr kurzen Zeit, in welcher alles verloren erscheint, kommt die Auferstehung der Gläubigen bei der Wiederkunft des Herrn.
Wir finden somit durchgehend in der Offenbarung eine feste Ordnung von drei Zeiten, welche sowohl innerhalb des Buches als auch mit anderen Teilen der Heiligen Schrift harmoniert.
- Das lange Zeitalter des Evangeliums, die 42 Monate oder tausend Jahre, die Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit, die 1260 Tage (Off 11,2-3; 12,6+14; 13,5; 20,2-5).
- Eine sehr kurze Zeit von „dreieinhalb Tagen“, in welcher das Evangelium zum Schweigen gebracht ist und die „zwei Zeugen“ tot auf der Straße liegen (Off 11,7-9; 13,7; 20,7-10).
- Den Tag des Gerichts mit dem zweiten Kommen des Herrn (Off 11,11,12+16ff; 14,14ff; 20,11ff).
Dieses Zeugnis der Offenbarung ist überaus stark, und es hat auch eine klare Entsprechung im Alten Testament.[3]
Unmittelbar nach der kurzen Zeit schlimmster Bedrängnis am Ende des Evangeliumszeitalters kommt der Herr wieder. Die „Drangsal jener Tage“ aus Mt 24,29-31 ist somit nach dem Zeugnis der Offenbarung, welches soeben ausführlich erläutert wurde, in erster Linie diese letzte Zeit der schlimmsten Christenverfolgung unmittelbar vor der Wiederkunft des Herrn. Der Kontext von Mt 24 redet dann auch in den darauffolgenden Versen über die Einsammlung der Gläubigen durch die Engel bei der letzten Posaune (vergleiche hierzu auch 1Thess 4,13-18 und Off 11,15-18). Darüber hinaus beschreibt sie zwar auch die Christenverfolgung während des gesamten Evangeliumszeitalters, aber am Ende wird es kulminieren.
5.3) Jeremia 30,5-7
Der Text lautet:
Jer 30,5-7: „Fragt doch und seht, ob auch ein Mann gebiert! Warum sehe ich denn, dass alle Männer ihre Hände auf den Hüften haben wie eine Gebärende, und dass alle Angesichter bleich geworden sind? Wehe! Denn groß ist dieser Tag, keiner ist ihm gleich, und eine Zeit der Drangsal ist es für Jakob; aber er wird aus ihr errettet werden!“
Die Worte beziehen sich ebenfalls auf die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n.Chr. Der erste Vers redet über die schweren körperlichen Folgen des Hungers und der Schrecknisse unter der Belagerung. Die Männer sind bleich und erschrocken, ihre Bäuche sind durch den Hunger geschwollen und sie legen die Hände erschöpft auf die Hüften. Der Text bezieht sich nicht auf die Zerstörung durch Nebukadnezar. Insbesondere die Worte: „groß ist dieser Tag, und keiner ist ihm gleich“ in Verbindung mit dem Begriff der Drangsal machen klar, dass es sich um dieselbe Drangsal handelt, welche auch Dan 12,1 erwähnt, und über welche auch der Herr selbst in Mt 24,21 redet. Es muss sich bei allen drei Schriftstellen um dasselbe Ereignis handeln, denn es gibt eben nur eine Drangsal, der keine andere gleich ist. Nach der Zerstörung, von welcher Jeremia in den Versen 5-7 geredet hat, ist es dann auch so, dass im weiteren Kontext des Kapitels eine Rückkehr der Nation von allen Ländern der Erde aus erfolgt. Das setzt eine weltweite Zerstreuung voraus, welche sich genauso in der Zerstörung des Jahres 70 n.Chr. ereignete.
5.4) Daniel 12,1
Der Vers lautet:
Dan 12,1: „Zu jener Zeit wird sich der große Fürst Michael erheben, der für die Kinder deines Volkes einsteht; denn es wird eine Zeit der Drangsal sein, wie es noch keine gab, seitdem es Völker gibt, bis zu dieser Zeit. Aber zu jener Zeit wird dein Volk gerettet werden, jeder, der sich in dem Buch eingeschrieben findet.“
Der Vers schließt nach dem Kontext des Buches Daniel inhaltlich unmittelbar an die Aussagen von Dan 11 an. Dan 11 bringt einen detailgetreuen Überblick über die Ereignisse in Israel während des Perserreichs und im darauf folgenden griechischen Reich, außerdem eine Sicht auf die Ereignisse des Makkabäerreiches bis zu seinem Ende. Die Historiker haben die geschilderten Ereignisse bis in die Einzelheiten erforscht und die atemberaubende Genauigkeit dieser Prophetie dokumentiert. Dan 11,1-4 redet über die Zeit von Kyros bis auf Xerxes, der von Alexander dem Großen besiegt wurde. Die Verse 3-4 reden insbesondere über Alexander. Dan 11,5-19 redet über die Nachfolger des Alexander, unter denen das Reich in vier Teile zerfiel, sowie über die damit verbundenen Kriege. Dan 11,20 redet über den Erheber der Steuern, eine nicht ganz klare historische Gestalt. Am ehesten war es wohl der Sohn von Antiochus dem Großen. Die Verse 21-35 reden über den schrecklichen Antiochus Epiphanes, der mit den Makkabäern im Kampf stand und schließlich von ihnen niedergerungen wurde. Vers 35 redet über den Tod der letzten Makkabäer. „Bis zum Ende“ bedeutet hier natürlich: „bis zum Ende der Makkabäerzeit“.
Das Makkabäerreich kommt in Dan 11,35 an sein Ende und wird sowohl im Text ab Vers 36 als auch historisch in der Realität gefolgt von dem König, den Vers 36 beschreibt. Es war der König Herodes. Herodes war zwar ein Idumäer, aber er war von den Römern als König über Daniels Volk Israel eingesetzt. Herodes und seine Dynastie blieben bis zum Untergang Jerusalems bestehen, also bis der Zorn vorüber war. So sagt es Dan 11,36. Der Rest des elften Kapitels redet über Herodes, seine Herrschaft, die Schlacht bei Actium im Römischen Reich, aus welcher Augustus als erster Kaiser Roms hervorging, und schließlich in Vers 45 über den Tod des Herodes. Das zwölfte Kapitel schließt dann unmittelbar an die Erzählung von Kapitel 11 an. Die Kapitel 10 bis 12 bilden als eine einzige Prophetie eine untrennbare Einheit.
Das Wort „Zu jener Zeit“ in Dan 12,1 meint daher im Kontext nichts anderes als die Zeit des Endes in Dan 11,40. Die ganze Weissagung bezieht sich ebenso wie die anderen Teile der Prophetie in den Kapiteln 10-12 auf die letzten Tage der alten Nation Israel im Land, und nicht auf die letzten Tage des christlichen Zeitalters. In Dan 12,1-4 haben wir nun gewissermaßen „die letzten der letzten Tage“, welche historisch gesehen mir der Katastrophe des Jahres 70 n.Chr. und dem nachfolgenden Untergang der alten Nation gleichzusetzen sind.
Es wird beschrieben, dass Michael, der Fürst des Volkes Daniels, auftritt (vgl. Off 12,7; Jud 9; Dan 10,13; Dan 10,20-21; 1Thess 4,16). Die genaue Art der Aktivität Michaels wird nicht beschrieben, aber sie diente zur Rettung des Volkes. Hier nun würden diejenigen gerettet, die sich im Buch eingeschrieben finden. Das Buch war bereits im Alten Testament bekannt, es ist das Buch des Lebens: 2Mo 32,32; Ps 139,16 (siehe auch Off 20,12 und 15). Es waren damals also die Gläubigen der Urgemeinde, welche im Buch des Lebens eingeschrieben waren, und welche vor der römischen Invasion das Land verließen.
Dan 12,1-4 redet zudem über eine Zeit der Drangsal, wie es noch keine gab, seitdem es Völker gibt, bis zu dieser Zeit. Diese Zeit ist identisch mit der Drangsal, die der Herr in seiner Ölbergrede ankündigte (Mt 24,21). Es war historisch die Belagerung Jerusalems, welche in ihrer Schrecklichkeit beispiellos war. Sie wurde durch das plötzliche Fallen des letzten Schutzturmes der Stadt abgekürzt, denn sonst hätte niemand überlebt. Es wäre kein Fleisch gerettet worden, wenn der Herr diese Zeit nicht verkürzt hätte (Mt 24,22).[4] Wir kommen zum Schluss.
6) Zusammenfassung
Der Begriff der Entrückung als Hauptwort kommt in der gesamten Bibel nur in Hebr 11,5 in Bezug auf Henoch vor. Es ist nur an einer einzigen neutestamentlichen Stelle (1Thess 4,17) davon die Rede, dass Gläubige zu dem Herrn in die Luft hochgerissen werden (harpazo, ein griechisches Verb und kein Hauptwort). Aufgrund nicht schriftgemäßer Vorannahmen vieler Ausleger werden an verschiedenen Stellen Deutungen und Begrifflichkeiten in den Text hineingelesen, welche so gar nicht geschrieben stehen. An keiner Stelle der Heiligen Schrift finden wir im geschriebenen Text eine Verbindung zwischen den Begriffen Entrückung und Drangsal. Die Lehre einer Entrückung vor einer großen Drangsal ist somit ein rein gedankliches Konstrukt ohne nachvollziehbare Grundlage in der Heiligen Schrift und muss abgewiesen werden.
Der Begriff der Drangsal kommt an verschiedenen Stellen vor, hauptsächlich bei Jeremia, Daniel, Matthäus und in der Offenbarung. Die genannten Stellen wurden besprochen.
Es muss unterschieden werden in
- einerseits die Drangsal für Jakob, welche mit der Drangsal bei der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n.Chr. identisch ist. Diese Drangsal ist auch in der Ölbergrede des Herrn Jesus Christus in Mt 24,15-28 erwähnt.
- andererseits die große Drangsal (vgl. Off 7,14; als allgemeinen Begriff ohne bestimmten Artikel im Grundtext und in der englischen KJV 1611), welche die Gläubigen des gesamten Gemeindezeitalters zu erleiden hatten und noch immer haben.
Diese Drangsal bezeichnet den Zustand des Leidens der Gemeinde, welcher ununterbrochen durch die Jahrhunderte hindurch bestanden hat. Die Verfolgung der Christen wird sich am Ende des Gemeindezeitalters noch einmal erheblich steigern, wenn der Satan für kurze Zeit losgelassen wird und eine weltweite Verfolgung organisieren wird. Diese letzte und schlimmste Zeit meinte der Herr vor allem, als er in der Ölbergrede in Mt 24,29-31 über die „Drangsal jener Tage“ sprach. Unmittelbar nach der Drangsal jener Tage wird der Herr wiederkommen am letzten Tag bei der letzten Posaune (1Kor 15,52; 1Thess 4,16-17; Off 11,15-18). Er wird seine Gemeinde zu sich in die Luft entrücken und danach das Gericht über die gottlose Menschheit bringen. Die Entrückung der Gläubigen in den Himmel wird also am letzten Tag des heutigen Zeitalters stattfinden, und zwar unmittelbar nach der „Drangsal jener Tage“, und nicht sieben Jahre davor.
[1] Zu einer detaillierten Auslegung der Lehre von der Entrückung verweise ich auf den Text: „Die Vorentrückungslehre“ auf unserer Website.
[2] Auch über die Auslegung der Ölbergrede finden Sie auf unserer Website einen besonderen Text.
[3] Wir erinnern uns daran, dass gemäß den Prinzipien der Auslegung das Buch der Offenbarung in den Schriften des Alten und des Neuen Testamentes verwurzelt ist.
[4] Zu einer detailgenaueren Auslegung sei an dieser Stelle auf unsere Texte über das Buch Daniel und über die Ölbergrede verwiesen.