Haben wir einen freien Willen? Dieser Artikel zeigt uns, weshalb wir den freien Willen verloren haben und wie wir diese Freiheit wiedererlangen können.
 


Das Wort „freier Wille“ ist problematisch, ebenso der „starke Wille“ oder der „schwache Wille“. In der weltlichen Psychologie werden die Fähigkeiten und Eigenschaften der Person so betrachtet, als ob sie selbst eigene Personen seien. Das ist aber nicht biblisch. Es wäre besser, von „der Fähigkeit zur Entscheidung, Wahlfreiheit“ oder von „wahrer Freiheit“ zu sprechen. Die Fähigkeit der Wahl wäre dann die Fähigkeit, zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden. Die wahre Freiheit wäre die Fähigkeit des Menschen, mit der Hilfe des Heiligen Geistes zu sagen, zu denken und zu tun, was Gott gefällt und im Einklang mit seinem geoffenbarten Willen steht.

 

8.1 Die Fähigkeit zur Wahl bzw. zur Entscheidung

Die Fähigkeit zur Entscheidung ist ein Teil des Bildes Gottes im Menschen im weiteren Sinn (siehe vorne). Sie ist verknüpft mit der persönlichen Verantwortung. Sie bestand vor dem Sündenfall und besteht auch noch danach. In seiner Entscheidungsfähigkeit ist der Mensch in gewisser Weise Gott ähnlich. Diese Fähigkeit ist die Grundlage der menschlichen Existenz, denn ohne sie gibt es keine Verantwortlichkeit, keine Abhängigkeit, keine Planung, keine Erziehung, keine moralischen Entscheidungen, keine Wissenschaft, keine Kultur, keine Religiosität und keinen wahren Glauben mit Anbetung.

Verschiedene falsche Theorien in der Wissenschaft, allen voran der Behaviourismus von B.F. Skinner haben behauptet, dass der Mensch keinerlei Entscheidungsfreiheit besitze, sondern ganz und gar das Produkt seiner Umweltbedingungen sei. Die Auswirkungen sind desaströs. Der Verbrecher ist nicht mehr verantwortlich für seine Tat, sondern die Gesellschaft muss ihn so annehmen wie er ist und ihn angemessen therapieren. Im Marxismus ist nicht der Einzelne verantwortlich vor Gott (denn Gott gibt es gar nicht) und vor anderen Menschen, sondern das Kollektiv, die Gesellschaft. Das Kollektiv ist alles, die persönlichen Freiheiten (Redefreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Glaubensfreiheit) werden zerstört. Dasselbe gilt für den Nationalsozialismus. Die Massen werden von den Wenigen kontrolliert. Die biblische Wahrheit von der Freiheit des einzelnen Menschen wird nicht toleriert.

 

8.2 Der Ursprung wahrer Freiheit

Die wahre Freiheit hat ihren Ursprung im Schöpfungsakt Gottes. Der Mensch war, wie Augustinus es sagte, fähig nicht zu sündigen (posse non peccare). Er befand sich in einem integeren Zustand wahrer Freiheit, jedoch noch nicht im Zustand vollkommener Freiheit. Er konnte immer noch in Sünde fallen.

 

8.3 Der Verlust der wahren Freiheit

Er geschah durch den Sündenfall. Die Fähigkeit, in völligem Gehorsam gegenüber Gott zu leben, ging verloren. Pelagius verneinte dies indem er behauptete, dass der Mensch noch immer wahre Freiheit besitze. Augustinus widerlegte ihn. Der Mensch ist ein Sklave der Sünde geworden, er ist nicht mehr dazu fähig, nicht zu sündigen (non posse non peccare). Er muss sündigen. Er muss erlöst und befreit werden.

 

Joh 8,34: „Jesus antwortete ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der die Sünde tut, ist ein Sklave der Sünde.“

 

Der Mensch sündigt willentlich (Rö 6,6+17+19+20). Er trifft eine Entscheidung, aber es ist eine falsche Entscheidung entgegen dem Willen Gottes. Luther und Calvin erkannten dies klar, auch sie sahen den Menschen als einen Sklaven der Sünde an. Der Wille ist verdorben und kann nicht nach dem Gefallen Gottes streben. Luther sagte, dass der wirklich absolut freie Wille nur Gott allein zugeschrieben werden kann.

 

8.4 Die Wiederherstellung der wahren Freiheit

Die Wiederherstellung der wahren Freiheit, welche durch den Sündenfall verloren ging, geschieht in dem fortlaufenden Prozess der Erlösung des Menschen. Der Beginn ist die Errettung. Durch das Werk des Heiligen Geistes im Menschen nach der Errettung und Wiedergeburt wird dieser Mensch im Laufe seiner Heiligung immer mehr dazu befähigt, seinen eigenen Willen nach dem Willen Gottes auszurichten. Die wahre Freiheit ist die Freiheit des neuen und ewigen Lebens in Christus, welche die Befreiung aus der Sklaverei der Sünde beinhaltet.

 

Joh 8,35-36: „Der Knecht aber bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. Wenn euch nun der Sohn frei machen wird, so seid ihr wirklich frei.“

2Kor 3,17-18: „Der Herr aber ist der Geist; und wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Wir alle aber, indem wir mit unverhülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauen wie in einem Spiegel, werden verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, nämlich vom Geist des Herrn.“

Gal 5,1: „So steht nun fest in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, und lasst euch nicht wieder in ein Joch der Knechtschaft spannen!“

Gal 5,16: „Ich sage aber: Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lust des Fleisches nicht vollbringen.“

Rö 6-8: „Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden, …“

 

Der Christ sollte sich als einen Menschen betrachten, welcher obgleich noch nicht vollkommen erneuert, so doch in der Wiedergeburt bereits grundsätzlich erneuert ist und fortwährend weiter erneuert wird in der Heiligung. Der Christ im jetzigen Leben ist zwar schon grundsätzlich befreit, jedoch noch nicht vollkommen. Er besitzt schon in der Errettung wahre Freiheit, jedoch noch nicht vollkommene Freiheit. Obwohl er kein Sklave der Sünde mehr ist, wird er doch noch immer von der Sünde versucht und begeht auch noch Sünden. Erst am Tag der Auferstehung des Leibes in der neuen und ewigen Welt wird der Christ auch praktisch in die vollkommene Freiheit eintreten. Daraus folgt, dass in der heutigen Zeit diese Freiheit noch missbraucht werden kann. Die Ausübung der christlichen Freiheit in der Jetztzeit erfordert also persönliche Verantwortlichkeit. Diese beginnt mit der richtigen Antwort auf den Bekehrungsruf des Evangeliums und endet erst beim Eintritt in die ewige Welt der Auferstehung.

 

2Kor 5,20: „So sind wir nun Botschafter für Christus, und zwar so, dass Gott selbst durch uns ermahnt; so bitten wir nun stellvertretend für Christus: Lasst euch versöhnen mit Gott!“

2Kor 7,1: „Weil wir nun diese Verheißungen haben, Geliebte, so wollen wir uns reinigen von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes zur Vollendung der Heiligkeit in Gottesfurcht!“

Gal 5,13: „Denn ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder; nur macht die Freiheit nicht zu einem Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander durch die Liebe.“

1Pe 2,16: „… als Freie, und nicht als solche, die die Freiheit als Deckmantel für die Bosheit benutzen, sondern als Knechte Gottes.“

 

8.5 Calvins drei Aspekte der wahren Freiheit
  1. Freiheit von der Notwendigkeit zum Halten des Gesetzes Gottes

Für einen Christen ist es nicht heilsnotwendig, Gottes Gesetz zu halten. Dieser Aspekt geht gegen alle Formen der Gesetzlichkeit und des Judaisierens. Er ist das Herzstück des Evangeliums. Wir alle sind durch Christus gerechtfertigt, denn er ist der einzige Mensch, der das Gesetz Gottes vollkommen gehalten hat. Er hat dies für uns und an unserer Stelle getan.

 

Rö 3,28: „So kommen wir nun zu dem Schluss, dass der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird, ohne Werke des Gesetzes.“

 

  1. Freiheit von der Aufrechterhaltung äußerer Verhaltensweisen

Jemand, der sich zu Jesus Christus bekehrt hat, ist auch davon befreit, äußere Verhaltensweisen aufrecht zu erhalten, welche an sich nicht heilsnotwendig sind. Es geht hier um alltägliche Verhaltensweisen, welche Gott nicht ausdrücklich verbietet. Zum Beispiel darf ein Christ auch einmal einen Schluck Wein trinken. Andere Aspekte sind zum Beispiel Körperpflege und gute Kleidung in angemessenem und mäßigem Umfang. Auch haben manche Christen einmal eine Zigarette oder eine Zigarre geraucht, ohne dafür in die Hölle zu kommen. Es sollte allerdings bei allen diesen Dingen darauf geachtet werden, dass man den Geschwistern keinen Anstoß gibt. Die Gefahr des Legalismus (also der Gesetzlichkeit) ist auch hier gegeben: Übertriebene Kleiderordnungen, Essvorschriften, generelles Verbot von Fernsehen oder Medien, Verbot von sportlicher Betätigung oder des Besuchs gesellschaftlicher Veranstaltungen. Falsche Vorschriften auf diesem Gebiet können das Zusammenleben der Christen vergiften oder unmöglich machen. Sektierer aller Art finden hier ein großes Betätigungsfeld.

 

Mt 23,23: „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, dass ihr die Minze und den Anis und den Kümmel verzehntet und das Wichtigere im Gesetz vernachlässigt, nämlich das Recht und das Erbarmen und den Glauben! Dieses sollte man tun und jenes nicht lassen.“

Rö 14: „Nehmt den Schwachen im Glauben an, ohne über Gewissensfragen zu streiten.“

1Kor 10,23: „Es ist mir alles erlaubt – aber es ist nicht alles nützlich! Es ist mir alles erlaubt – aber es erbaut nicht alles!“

 

  1. Freiheit zum willentlichen Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes

Drittens ist ein Christ dazu befreit, den Geboten Gottes willentlich Gehorsam zu leisten, und zwar aus ungezwungener Dankbarkeit für die Errettung. Wenn wir wirklich erkannt haben, dass wir vom äußeren Druck des Gesetzes befreit sind, dann werden wir befähigt zu willigem und dankbarem Dienst für Gott. Das Gesetz Gottes, welches er uns in der Errettung in das Herz geschrieben hat, wird nunmehr zu einem lenkenden Maßstab für ein dankbares Christenleben, welches in freiwilligem Gehorsam ausgeübt werden darf. Wir dienen nicht mehr als Sklaven, sondern als Söhne und Töchter des Vaters, und wir dürfen auch Fehler machen. Daher steht die wahre Freiheit nicht im Gegensatz zu Gottes Gesetz, sondern sie bestätigt freiwillig das Gesetz durch das tägliche Leben im dankbaren Gehorsam. Wahre Freiheit steht somit auch nicht im Gegensatz zum Dienst, sondern sie führt zu freiwilligem Dienst für Gott und für andere. Wahre Freiheit ist auch die Freiheit zu lieben, denn Liebe ist die Erfüllung oder die Summe des Gesetzes, und wer die Gebote Gottes hält, der liebt ihn und die Menschen. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Luther sagte: „Ein Christ ist ein vollkommen freier Herr über alles, und niemandem untertan. Ein Christ ist ein vollkommen pflichtbewusster Diener aller, allen anderen unterworfen.“

 

Ps 1,2: „… sondern seine Lust hat am Gesetz des HERRN und über sein Gesetz nachsinnt Tag und Nacht.“

Ps 19,10: „Die Furcht des HERRN ist rein, sie bleibt in Ewigkeit; die Bestimmungen des HERRN sind Wahrheit, sie sind allesamt gerecht.“

Hes 36,24-27: „Denn ich will euch aus den Heidenvölkern herausholen und aus allen Ländern sammeln und euch wieder in euer Land bringen. Und ich will reines Wasser über euch sprengen, und ihr werdet rein sein; von aller eurer Unreinheit und von allen euren Götzen will ich euch reinigen. Und ich will euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres legen; ich will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben; ja, ich will meinen Geist in euer Inneres legen und werde bewirken, dass ihr in meinen Satzungen wandelt und meine Rechtsbestimmungen befolgt und tut.“

Joh 14,15+21: „Liebt ihr mich, so haltet meine Gebote! Wer meine Gebote festhält und sie befolgt, der ist es, der mich liebt; wer aber mich liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.“

Rö 6,18+22: „Nachdem ihr aber von der Sünde befreit wurdet, seid ihr der Gerechtigkeit dienstbar geworden. Jetzt aber, da ihr von der Sünde frei und Gott dienstbar geworden seid, habt ihr als eure Frucht die Heiligung, als Ende aber das ewige Leben.“

Rö 8,15: „Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch wiederum fürchten müsstet, sondern ihr habt den Geist der Sohnschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!“

Rö 13,10: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses; so ist nun die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.“

1Kor 9,19: „Denn obwohl ich frei bin von allen, habe ich mich doch allen zum Knecht gemacht, um desto mehr [Menschen] zu gewinnen.“

Hebr 8,8-12: „Denn er tadelt doch, indem er zu ihnen spricht: »Siehe, es kommen Tage, spricht der Herr, da ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde; nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern gemacht habe an dem Tag, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus dem Land Ägypten zu führen – denn sie sind nicht in meinem Bund geblieben, und ich ließ sie gehen, spricht der Herr –, sondern das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel schließen werde nach jenen Tagen, spricht der Herr: Ich will ihnen meine Gesetze in den Sinn geben und sie in ihre Herzen schreiben; und ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein. Und es wird keiner mehr seinen Nächsten und keiner mehr seinen Bruder lehren und sagen: Erkenne den Herrn! Denn es werden mich alle kennen, vom Kleinsten bis zum Größten unter ihnen; denn ich werde gnädig sein gegen ihre Ungerechtigkeiten, und an ihre Sünden und ihre Gesetzlosigkeiten werde ich nicht mehr gedenken.«“

Jak 1,25: „Wer aber hineinschaut in das vollkommene Gesetz der Freiheit und darin bleibt, dieser [Mensch], der kein vergesslicher Hörer, sondern ein wirklicher Täter ist, er wird glückselig sein in seinem Tun.“

Jak 2,12: „Redet und handelt als solche, die durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen!“

 

8.6 Die vollkommene Freiheit

Die vollkommene Freiheit werden wir erst im ewigen Zustand erreichen. Wir werden dann, wie Augustinus sagte, nicht mehr fähig sein zu sündigen (non posse peccare). Der Auferstehungsleib wird frei von der Sünde sein. Wir werden Gott hingegeben dienen, und dieser Dienst wird vollkommene Freiheit sein. Am Beginn der Ewigkeit wird der Moment kommen, in welchem das Endziel der Erlösung erreicht sein wird.

 

Rö 8,20-21: „Die Schöpfung ist nämlich der Vergänglichkeit unterworfen, nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin, dass auch die Schöpfung selbst befreit werden soll von der Knechtschaft der Sterblichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes.“

1Kor 15,42-44: „So ist es auch mit der Auferstehung der Toten: Es wird gesät in Verweslichkeit und auferweckt in Unverweslichkeit; es wird gesät in Unehre und wird auferweckt in Herrlichkeit; es wird gesät in Schwachheit und wird auferweckt in Kraft; es wird gesät ein natürlicher Leib, und es wird auferweckt ein geistlicher Leib. Es gibt einen natürlichen Leib, und es gibt einen geistlichen Leib.“

Off 7,15: „Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird sein Zelt aufschlagen über ihnen.“

Off 22,3: „Und es wird keinen Fluch mehr geben; und der Thron Gottes und des Lammes wird in ihr sein, und seine Knechte werden ihm dienen;“